«Mieter zahlen 14 Milliarden zu viel»

Die Immobilienbranche saugt die Mieterinnen und Mieter förmlich aus, sagt SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Gemeinden sollen deshalb keinen Boden verkaufen und gemeindeeigenes Land nur an gemeinnützige Bauträger im Baurecht abgeben.

Wohnen müssen wir alle, es ist unerlässlich fürs Leben. Wohnen ist also ein Zwangskonsum und damit mehr als ein simples ökonomisches Gut. Und das Wohnen ist mit Abstand der grösste Ausgabenposten der privaten Haushalte. Gleichzeitig sind Wohnbaupolitik und Bodenpolitik nicht zu trennen. Der Boden gehört zu den primären essenziellen Gütern – und er kann nicht, wie andere Güter, je nach Nachfrage beliebig erweitert werden. Der Schweizer Boden mit sämtlichen Immobilien darauf hat einen Wert von 4,2 Billionen Franken, also 4200 Milliarden. Er ist damit das grösste volkswirtschaftliche Gut des Landes überhaupt.

Mit diesen Fakten leitete Jacqueline Badran ihr Referat im Unterseener Stadthaus zum Thema «Bezahlbares Wohnen» ein. Die Zürcher SP-Nationalrätin gilt als profunde Kennerin und eine der prominentesten Kritikerinnen der schweizerischen Boden- und Wohnbaupolitik. Die gut besuchte öffentliche Veranstaltung war gleichzeitig die Input-Veranstaltung der SP Bödeli und der SP Unterseen für eine Wohnbauinitiative in den drei Zentrumsgemeinden Interlaken, Unterseen und Matten.

Immobilienpolitik = Kernaufgabe der Gemeinde

Jacqueline Badran redete den Kommunalpolitikerinnen und -politikern ins Gewissen: Eine aktive Immobilienpolitik gehöre zu den Kernaufgabe der Gemeinden, denn Boden im Gemeinbesitz sei immer «Big Business» für die öffentliche Hand. «Das Geld, das eine Gemeinde in den Boden steckt, ist die beste Anlagepolitik». Die Landwertsteigerung bleibt im Volksvermögen. Gemeinden sollten also keinesfalls Boden verkaufen, sondern gemeindeeigenes Land immer nur an gemeinnützige Bauträger – Stichwort Genossenschaften oder auch Stiftungen – im Baurecht vergeben. Im Planungsrecht müssten zwingend Zonen für gemeinnütziges Wohnen geschaffen werden. Und die Mehrwertabschöpfung müsse nicht nur bei Neueinzonungen, sondern auch bei Aufzonungen eingeführt werden.

Geltendes Recht wird nicht durchgesetzt

Mit dem Wandel der Immobilien von der Wertanlage zur Renditeanlage steigen seit Jahrzehnten auch die Mieten. «Den Mieterinnen und Mietern werden jährlich 14 Milliarden Franken zu viel aus dem Sack gezogen», sagte Badran. Das sei deshalb so, weil das geltende Recht nicht durchgesetzt werden könne: Die Bundesverfassung schreibt zwar vor, dass die Rendite auf Mieten gedeckelt ist. Die Rendite auf einer Wohnimmobilie darf höchstens 0,5 Prozent über dem Referenzzinssatz liegen, aktuell ergibt das einen Wert von zwei Prozent. Trotz rekordtiefer Zinsen sind die Mieten gestiegen, statt zu sinken. Die Mieten seien 40 Prozent höher als gesetzlich erlaubt, was auch eine Studie der Raiffeisen-Bank bestätigt.

Das Mietrecht wird laut Badran nicht eingehalten, «wir befinden uns in einem illegalen Zustand.» Das sei so, weil heute der Mieter klagen muss und die ganze Beweislast bei ihm liege. Bis in die späten Siebzigerjahre hat es eine Mietzinskontrolle gegeben. Auch FDP und CVP hätten damals noch gewusst, dass die Schweizer Unternehmen bei steigenden Mieten unter Lohndruck geraten und zudem mit hohen Mieten die Kaufkraft vernichtet wird, also die grosse Treiberin des Wirtschaftswachstums. «Das ist simple Ökonomie», so Badran. Es dürfe nicht sein, dass auf existenziellen Gütern übersetzte Renditen erzielt werden. Heute profitierten Immobilienfirmen zudem massiv von Infrastrukturgewinnen: Bei Neubauten müssten die Gemeinden die Erschliessungskosten tragen und Infrastrukturen finanzieren, also Strassen, öV, Schulen etc. Damit steigt der Wert der Immobilien und «die Immobilienfirmen sind die am meisten subventionierte Branche». Ohne Leistung der Eigentümer gewinnen die Immobilien an Wert.

Jacqueline Badran will nicht einfach «sozialen Wohnungsbau» betreiben, das sei der falsche Ansatz. Es gehe primär um die Frage, wem der Boden gehört und um die Bevorzugung des gemeinnützigen Wohnungsbaus vor dem renditeorientierten. Denn, so sagt Badran, «es gibt keinen Bodenmarkt», und es sei störend, dass leistungsfrei Gewinne eingefahren werden und man dann noch von «Wirtschaft» und «Markt» spreche.

Genossenschaften als optimale Lösung

Gemeinnützige Wohnpolitik habe einen sozialpolitischen Nebeneffekt. Und da kommen die Genossenschaften ins Spiel, die eben nicht staatliche, sondern private Institutionen seien. Genossenschaften müssten durchmischt sein, für Leute mit kleinem Portemonnaie wie auch für besser gestellte. Anteilscheine bei Genossenschaften könnten sich auch finanziell weniger gut gestellte Leute leisten und seien damit die beste Form der Wohneigentumsförderung. Badran ist gegen staatlichen Wohnungsbau; Genossenschaften seien eine optimale Lösung für die Menschen, die hier wohnen, wie für die Gemeinde, denn wenn diese das Land im Baurecht abgibt, verbleibt die Wertsteigerung des Grundstücks bei der Gemeinde. Im Grunde seien im Boden- und Wohnbereich nur zwei Eigentumsformen zu rechtfertigen: selbstbewohntes Wohneigentum oder eben die gemeinnützige Nutzung des Bodens. Zentral seien tiefe Wohnkosten, ob als Eigentümerin oder Mieter, denn «tiefe Wohnkosten sind die absolut beste Altersversicherung».

Badran ermutigte die Initianten der Wohnbauinitiativen auf dem Bödeli, denn die Chancen seien derzeit gut. Gemeinnützige Bodenpolitik sei in der Schweiz durchaus mehrheitsfähig. «Wenn es ums Wohnen geht, kommt heute vor dem Volk fast jede Vorlage durch – selbst in einer typischen SVP-Gemeinde wie Emmen (LU)».

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