Steuern: Rückverteilung ist das grosse Thema

Steuerhinterzieher bescheren Bund, Kantonen und Gemeinden Steuerausfälle von jährlich mindestens 18 Milliarden Franken. Dies sagte Nationalrätin Margret Kiener Nellen an einer Veranstaltung der SP Bödeli.

Gleich über zwei wichtige Steuervorlagen stimmen die Bernerinnen und Berner am nächsten Wochenende ab. Die Sozialdemokratische Partei Bödeli hat dies zum Anlass genommen, sich an einem öffentlichen Anlass in Wilderswil ausgehend von drei Referaten grundsätzliche Gedanken zum Dauerthema Steuern zu machen. Der Ökonom Hans Baumann von der Zürcher Denkfabrik „Denknetz“ plädierte für eine Rückverteilung von jährlich rund 25 Milliarden Franken von oben nach unten – dies deshalb, weil in den vergangenen 20 Jahren eine massive Umverteilung in umgekehrter Richtung von unten nach oben stattgefunden habe. Während Einkommen und Vermögen bei den unteren und mittleren Schichten stagnierten oder gar rückläufig waren, haben sie ganz oben massiv zugelegt. Nirgends auf der Welt seien die Vermögen so ungleich verteilt wie in der Schweiz: Seit 1997 sind die Vermögen von weit über 90 Prozent der Bevölkerung um gegen sechs Prozent zurückgegangen, während das oberste eine Prozent massiv abgesahnt habe.

Es geht nicht um Neid

Hans Baumann stellte klar: Es geht bei dieser Debatte nicht um Neid, wie der SP immer wieder vorgeworfen wird. Es geht um sehr viel mehr, nämlich um das Funktionieren von Wirtschaft und Demokratie schlechthin. Demokratie braucht ein gewisses Mass an Gleichheit, sonst mutiert sie zurück zum Feudalismus. Und die Wirtschaft braucht Investitionen, sonst geht ihr der Schnauf aus. Doch gerade das passiert heute zu wenig: Die überhöhten Gewinne werden nur zu einem kleinen Teil reinvestiert; sie flossen in letzter Zeit immer häufiger in die immer komplexeren Finanzinstrumente. Das führte zu den bekannten Finanzblasen, zu Krisen in der Wirtschaft und zur Stagnation im Konsum. „Die Finanz- und Schuldenkrise, in der wir heute stecken, ist deshalb wesentlich auch die Folge der massiven Umverteilung von unten nach oben“, sagte Hans Baumann.

Dramatische Steuerhinterziehung

Die Rückverteilung will Baumann unter anderem mit einer Erhöhung der Unternehmenssteuern, einer nationalen Erbschaftssteuer und einer Reduktion der Steuerhinterziehung erreichen. Dort hakte auch die Berner SP-Nationalrätin und Finanz- und Steuerexpertin Margret Kiener Nellen ein. Da sich die Eidgenössische Steuerverwaltung weigere, Schätzungen über die Steuerhinterziehung zu machen, hat Kiener Nellen eigene Berechnungen angestellt. Sie ist dabei auf mindestens 18 Milliarden Franken gestossen, auf die Gemeinden, Kantone und Bund pro Jahr wegen Steuerhinterziehung und –betrug verzichten müssen. Diese Zahl entspricht den jährlichen Einnahmen durch die Mehrwertsteuer.

Wettlauf zwischen Hase und Igel

Steuerhinterziehung, so sagt Kiener Nellen, ist Diebstahl am Volk. Sie fordert deshalb „mehr Steuerinspektorinnen und –inspektoren statt Sozialinspektoren“ und eine Steuerharmonisierung statt schädlichem Steuerwettlauf. Denn eigentlich gehe es nicht um Steuerwettbewerb, sondern um „einen Steuerwettlauf zwischen Hase und Igel“, also zwischen nicht vergleichbaren Standorten. Bei einem echten Wettbewerb werde mit gleichen Ellen gemessen. Die Schweiz sei im internationalen Massstab „massiv daran beteiligt, die Steuern nach unten zu drücken“, womit der öffentlichen Hand weltweit immer weniger Mittel zur Verfügung stehen.

Um den steuerpolitisch schlechten Ruf der Schweiz etwas zu verbessern, haben die Bernerinnen und Berner nächstes Wochenende eine gute Gelegenheit, fand der dritte Referent des Abends, SP-Grossrat Andreas Hofmann: Sie können die Pauschalsteuer abschaffen. Er verwies auf den Kanton Zürich, der diese Spezialsteuer für reiche Ausländer im Jahr 2009 in einer Volksabstimmung gestrichen hat. Gemäss einer wissenschaftlichen Studie hat das für den Kanton bisher rentiert: Der Fiskus kassierte unter dem Strich 1,2 Millionen Franken mehr (siehe „Berner Oberländer“ vom 12.09.2012).

Jürg Müller-Muralt

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